Superelastische Bögen: feste Zahnspange mit Memory-Effekt
28. Juni 2022Damit eine feste Zahnspange Fehlstellungen korrigieren kann, braucht es nicht nur Brackets. Erst durch das Zusammenspiel mit einem Bogen (Draht) werden die Zähne in die richtige Position gelenkt. Doch Bogen ist nicht gleich Bogen. Neben Querschnitt und der Stärke bestimmt vor allem das Material, wie schonend und schnell eine Behandlung erfolgt. Durch den Bogen wird der Zahn wie ein Zug auf einem Gleis in die gewünschte Richtung bewegt.
Ungefähr sechs bis acht Bögen werden im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung mit fester Zahnspange im Schnitt pro Kiefer eingesetzt. Dabei üben die vorgeformten Bögen aufgrund ihrer Eigenspannung und der Interaktion mit den Brackets entweder Druck oder Zug auf den jeweiligen Zahn aus, wodurch dieser bewegt wird. Die Information für die angestrebte Zahnbewegung ist dabei übrigens im Schlitz des Brackets (Slot) enthalten, weshalb man von vorprogrammierten Brackets spricht.
Jede Behandlungsphase braucht ihren optimalen Bogen
Die Bögen werden im Laufe der kieferorthopädischen Behandlung regelmäßig ausgetauscht. Der Grund dafür ist, dass die Korrektur von Zahn- und Kieferfehlstellungen in mehreren Phasen abläuft. Um die Zähne in der gewünschten Art und Weise zu bewegen, benötigt jede Behandlungsphase ein ganz bestimmtes Kraftniveau. Das wiederum wird durch mehrere Faktoren beeinflusst. Bei festen Zahnspangen ist der wichtigste Faktor das Material des Bogens und dessen Eigenschaften. Aber auch der Querschnitt eines Bogens (rund oder eckig) sowie dessen Durchmesser üben einen Einfluss aus. So macht es z. B. einen Unterschied, ob ein dünner und somit frei im Slot gleitender Bogen oder ein dicker und slotfüllender Draht zur Anwendung kommt.
Kasse zahlt nur herkömmliche Stahlbögen bei der festen Zahnspange
Von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet werden die Kosten für Standardbögen aus Edelstahl. Sie sind stabil, haben eine glatte Oberfläche und lassen sich gut biegen. Dadurch wird dem Fachzahnarzt für Kieferorthopädie eine einfache, individuelle Anpassung des Bogens an die jeweilige Behandlungsaufgabe ermöglicht. Stahlbögen haben aber auch Nachteile: Sie übertragen zunächst recht hohe Kräfte auf die Zähne. Aufgrund der Ermüdung des Bogenmaterials fällt das Kraftniveau jedoch relativ schnell wieder ab. Deshalb werden Stahlbögen erst am Ende der Behandlung zur Führung und Stabilisierung eingesetzt. Zu Beginn sind die ausgeübten Kräfte zu hoch und die gewünschte Veränderung wird nur schwer erreicht.
Zum Glück hat die Forschung in den letzten Jahrzehnten hochmoderne Spezialbögen hervorgebracht. Deren innovative Materialien ermöglichen nicht nur äußerst effektive Korrekturen und somit schnellere Behandlungen. Auch die Zähne und die sie umgebenden Gewebe und Strukturen werden geschont. Medizinische Vorteile, die für sich sprechen und wissenschaftlich bewiesen sind.
Mehr Komfort durch superelastische Bögen
Wer also von den Erkenntnissen aus Materialforschung, Wissenschaft und klinischer Anwendung profitieren möchte, dem sei vor allem das Stichwort superelastisch genannt. Superelastische Bögen entfalten ihre Kraft in Abhängigkeit von der Temperatur, weshalb sie auch thermoelastische oder thermoaktive Bögen genannt werden. Sie verfügen über einen „Formgedächtniseffekt“. Diese Materialeigenschaft ermöglicht es ihnen, nach einer Formveränderung bei niedriger Temperatur durch Wärme ihre ursprüngliche Form wiederzuerlangen. Das heißt: Der vorgeformte Bogen trägt die ideale Form des oberen bzw. unteren Zahnbogens bereits in sich. Wird er vom Kieferorthopäden in die Slots der Brackets eingesetzt, gibt der Bogen nach. Er verändert wegen der Zahnfehlstellung seine ursprüngliche Form, die er aufgrund der warmen Mundtemperatur nach und nach wieder einnimmt. Er „erinnert“ sich quasi an seine Idealform.
Gleichmäßig sanfte Kräfte schonen Gewebe und helfen beim Knochenumbau
Thermoelastische Bögen sind aus einer Nickel-Titan-Legierung gefertigt. Ihre hohe Elastizität und die bei Mundtemperatur aktivierte, geringe Rückstellkraft ermöglichen die Übertragung äußerst geringer und konstanter Kräfte, wodurch vor allem in den ersten Behandlungsphasen eine Überlastung des Zahnhalteapparats und eine Unterbrechung der Blutversorgung vermieden wird. Der für die angestrebte Zahnstellungskorrektur benötigte Knochenumbau kann somit sanft und schonend erfolgen.
Der Trick mit dem Eiswürfel
Und wird der Druck an den Zähnen mal unangenehm, wie dies oft nach einem Bogenwechsel der Fall ist, nimmt man einfach ein kaltes Getränk zu sich oder lutscht an einem Eiswürfel. Die Wirkung des Bogens wird ausgesetzt und baut sich durch die Mundtemperatur langsam wieder auf. Thermoelastische Bögen sind also nicht nur eine sinnvolle, sondern auch clevere Alternative zu Standardbögen aus Edelstahl.
Neben thermoelastischen NiTi-Bögen können bei einer Behandlung mit fester Zahnspange auch Bögen aus Kobalt-Chrom- oder Titan-Molybdän-Legierungen zum Einsatz kommen. Der Fachzahnarzt für Kieferorthopädie kennt deren jeweilige Eigenschaften ganz genau und weiß sie entsprechend zu nutzen.
Fazit: Superelastische Bögen sind zwar keine Kassenleistung, haben aber eindeutige Vorteile. Wer auf hochmoderne Bögen nicht verzichten und eine schnellere sowie schonendere Behandlung in Anspruch nehmen möchte, muss diese Zusatzleistung bzw. die Differenz zu den “Kassenbögen” aus der eigenen Tasche bezahlen oder auf seine Zusatzversicherung zurückgreifen.
Quellen:
- Arreghini A, Lombardo L, Mollica F, Siciliani G: Torque expression capacity of 0.018 and 0.022 bracket slots by changing archwire material and cross section. In: Progress in Orthodontics 2014, 15:53.
- Bückmann B: Kieferorthopädie. Stiftung Warentest, Berlin 2009. S. 91.
- Krishnan V, Kumar KJ: Mechanical Properties and Surface Characteristics of Three Archwire Alloys. In:
- Angle Orthod. 2004 Dec;74(6):825-31.
- Kusy RP: A review of contemporary archwires: Their properties and characteristics. In: Angle Orthod. 1997;67(3):197-207.
- Mullins WS, Bagdy MD, Norman TL: mechanical behavior of thermo-responsive orthodontic archwires. In: Dent Mater. 1996 Sep;12:308-314.
- Das Gesundheitsportal medondo.health